Hans Grüningers Lebenszeit, der Wechsel vom 15. zum 16. Jahrhundert ist literaturgeschichtlich eine Zeit großer Namen heutzutage quasi ungelesener Autoren. Einzig Martin Luther dürfte sich noch eines weiteren Leserkreises erfreuen.
Literaturgeschichtliche Meilensteine wie Hans Sachs, Sebastian Brant oder Johann Fischart allerdings finden heute kaum mehr Leser. Dies liegt nicht so sehr an den Themen: Die Texte sind oft geistreich und nicht selten witzig, den größten Abstand zwischen Leser und Werk schafft die Sprache: „Stünde nit diß mitteltheyl und Punctzweck zwischen den vier Allgemeinten oder Hälementen (die des Menschen halben rund gewelwet) seiner eynigen zierd beraubet?“ – Seien wir ehrlich, wir werden keine Antwort auf die Frage finden, eben weil wir die Frage nicht verstehen.
Rächtschreipunk, Verzeihung: Rechtschreibung war ein Fremdwort und die Gelehrtheit der Autoren fand allzu oft in langen Satzkaskaden seinen Niederschlag. Man mag es bedauern, aber dafür verwenden wir heute keine Zeit mehr.
Es ist nicht weiters verwunderlich, dass die Drucker und Verleger zu Grüningers Zeiten, nicht viel anders als heute, auch nicht ausschließlich auf zeitgenössische Autoren setzten, sondern ihr Programm danach ausrichteten, was in Verkaufszahlen und Geld messbaren Erfolg versprach. Und das waren um 1500 generell religiöse, antike und unterhaltende Texte.
Antike Autoren aus dem Grüninger´schen Programmen waren die Klassiker: Terenz, Horaz, Vergil und Livius, wobei die Aeneis des Vergil (1502) allgemein als der qualitative Höhepunkt dieser Reihe angesehen wird. An religiösen Schriften verlegte der Katholik Grüninger im protestantischen Straßburg teilweise ungewöhnliches Schriftgut, das ihm allerdings sicher auch eine gewisse Marktnische und damit sicheren Absatz garantierte: Heiligenleben und bewusst antilutheranische Schriften, oft aus der Feder des berühmten Humanisten Thomas Murner, standen neben konfessionsneutraleren Publikationen, wie dem Werk zu den 10 Geboten (1516), zu dem Hans Baldung-Grien die Holzschnitte geliefert hatte.
Der große Wurf des Verlegers Hans Grüninger war die Eulenspiegelausgabe „Ein kurtzweilig lesen von Dyl Ulenspiegel“ aus den Jahren 1510 und 1519. Wer die witzigen Geschichten kennt, wird sich prinzipiell nicht wundern, warum ausgerechnet dieses Buch Grüningers zu einem Welterfolg wurde. Zudem passte es auch die Zeit und zu ihren Gewohnheiten. Der „Schwank“, eine kurze, witzige, manchmal auch derb-drastische Erzählung, bei der der Grat von lustig zu nicht-lustig mitunter extrem schmal war, war weniger eine Literaturgattung als vielmehr eine soziale Fähigkeit. Das will heißen: Wer erzählen und unterhalten konnte – mit der richtigen Mischung aus Humor, Romantik, Erotik, Spannung und Blutrünstigkeit, der galt etwas in der Zeit um 1500. Unterhaltung war beliebt und wer neue Geschichten gut erzählen konnte, tja, der fand vielleicht eine Frau, bekam vielleicht ein Abendessen spendiert, der wurde vielleicht aber auch in den Stadtrat gewählt und machte so sein Glück. Deshalb waren Erzählbücher beliebt und ein Verleger tat gut daran, Schwankliteratur in seinem Programm zu haben. Jörg Wickram stellt sein „Rollwagenbüchlein“ (Rollwagen=Kutsche) 1555 mit folgenden Worten vor: „Ein neues, vorher unerhörtes Büchlein, darin viele gute Schwänke und Historien enthalten sind, so (die) man in Schiffen und auf Rollwägen, desgleichen in Scherhäusern (Frisörsalons) und Badestuben zu langweiligen Zeiten erzählen mag (kann), die schweren melancholischen Gemüter damit zu ermuntern, von jedermann, Jungen und Alten, ohne allen Anstoß zu lesen und zu hören, allen Kaufleuten zu einer Kurzweil an den Tag gebracht und zusammengelesen durch Jörg Wickram“. Dies ließe sich auch so für den knapp 50 Jahre jüngeren Eulenspiegel schreiben, schließlich war sein Sinn und Zweck kein anderer.
Tja, Wickrams Rollwagenbüchlein erfreut sich heute nicht mehr der ganz großen Bekanntheit, obwohl manche Geschichten daraus noch in diesen Tagen als Witze im Umlauf sind. Den Eulenspiegel kann dank Hans Grüninger heutzutage noch immer jedes Kind kennen und jeder Erwachsene, der schon als Kind darüber gelacht hat und sich an seine Kindheit erinnert.